Vorgeschichten

Warum Weltaustellungen?

Denise Gubitosi

Die erste Weltausstellung fand 1851 als Great Exhibition in London statt. Damit wurde der Grundstein für eine Veranstaltungstradition gelegt, die bis heute als „Expo“ international relevant ist.  Die nächste Expo, Expo 2025 in Osaka, steht unter zukunftsgerichteten Themen für eine global nachhaltige Entwicklung (keine Armut, kein Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit etc.) [1]. Der primäre Gedanke der ersten Weltausstellung war aber ein anderer. Sie stand unter dem Zeichen der Industrialisierung, einer Entwicklung, die in Mitteleuropa seit der Mitte des 18. Jh. mehr und mehr von Relevanz war. Dies macht der offizielle Begleitkatalog zur ersten Londoner Weltausstellung bereits im Titel deutlich: Great exhibition of the works of industry of all nations [2]. Ein in diesem Text formuliertes Ziel der Veranstaltung war die internationale Vernetzung zur Verbesserung der Industrie und damit der allgemeinen Lebensverhältnisse. In einem längeren Abschnitt wird Prinz Albert (1819-1861), Ehemann der britischen Königin Victoria (1819-1901), zitiert, der die Zeit um 1850 folgendermaßen zusammenfasst:

“[…] wir leben in einer Periode eines äußerst wundervollen Übergangs, die rasch auf die Erfüllung jenes großen Ziels zusteuert, auf das in der Tat jegliche Geschichte hindeutet: die Verwirklichung der Einheit der Menschheit.“ [3]

Prinz Albert führt im Weiteren aus, dass es dabei nicht um eine globale Anpassung geht, sondern um die Vereinigung „nationaler Vielfalt und antagonistischer [konträrer] Qualitäten“ unter einem Dach [4]. Es ist die Idee der Globalisierung, die Prinz Albert hier zum Ausdruck bringt. Die Welt ist bereits bekannt, die Wege für den Austausch gelegt, „wir müssen nur abwägen, welche [Produkte] für unseren Zweck die besten und billigsten sind“ [5]. Dieser Auftrag impliziert einen Vergleich. Für eine Optimierung ist es nötig, bessere Alternativen zu kennen und umzusetzen. Erst das Wissen über andere Möglichkeiten erlaubt einen Abgleich oder überhaupt eine Bewertung ihrer Qualitäten. Die Weltausstellungen machen genau das. Sie führen anhand von konkretem Material unmittelbar vor Augen, was möglich ist. Prinz Albert formuliert es passend, indem er die erste Weltausstellung als „lebendiges Bild“ der gesamten Menschheit und als Ausgangspunkt für eine Verbesserung für alle Beteiligten beschreibt [6].

Die Idee der Optimierung der Industrie durch einen solchen Austausch und Vergleich war 1851 nicht neu. Bereits im 18. Jh. wurden in England und Frankreich Messen und Ausstellungen veranstaltet, die Erzeugnisse verschiedenster Sparten an einem Ort versammelten, um so die allgemeinen Produktionsverhältnisse zu verbessern. Der Charakter dieser Veranstaltungen war aber zunächst nur lokal und teils privat. Im Jahr 1835, 16 Jahre vor der ersten Weltausstellung, bedauert Jacques Boucher de Crèvecœur de Perthes (1788-1868, genannt Boucher de Perthes), Archäologe und Mitglied der Société d’émulation d’Abbeville, einer französischen Gelehrtengesellschaft, diese Beschränkung der Ausstellungen. In Petit glossaire, einem Glossar zu Finanzbegriffen, das jedoch sehr weit gefasst ist, schreibt Boucher de Perthes unter den Schlagwörtern „Arbeiter, Handwerker, Industrieller, Fabrikant, Hersteller, Künstler“ (ouvrier, artisan, industriel, fabricant, manufacturier, artiste) Folgendes: 

„Deshalb lasst uns arbeiten und tolerant sein und jeden Arbeiter als Bruder betrachten, ungeachtet seines Namens, seiner Hautfarbe oder seines Landes. Lasst uns den Wettbewerb nicht zurückweisen, denn er allein wird uns erleuchten und uns den wahren Weg unserer Produktion [Industrie] zeigen. Es ist die Konkurrenz, die den guten Arbeiter ausmacht, denn sie zeigt jedem an, was er tun soll. Ausstellungen, die einen so vorteilhaften Einfluss auf die Industrie haben, sind nichts als die Zusammenfassung dieser Konkurrenz. Dort ist sie auf ihren einfachsten Ausdruck reduziert. Dort bringt der Industrielle seine Arbeit jener seines Nachbarn näher, nimmt Maß seiner Bemühungen, schätzt seine Produktion und sich selbst ein und lernt dort mehr an einem Tag, als er es in einem Jahr der Isolation und des Monopols hätte lernen können. Ja, Ausstellungen sind besser als Verbote, die nur darauf abzielen, die Menschen zu entzweien und sie zu isolieren. Warum also sind diese Ausstellungen noch immer eingeschränkt? Warum werden sie nicht in einem wirklich großen und liberalen Maßstab durchgeführt?“ [7]

 

Boucher de Perthes macht hier den Wettbewerb und die Konkurrenz zu den zentralen Themen [8]. Sie erfahren keine negative Bewertung, sondern sind der eigentliche Antrieb für die stetige Verbesserung der eigenen Produktivität. Auch an anderer Stelle des Petit glossaire fordert er auf, „zu wetteifern und zu vergleichen“ (concourir et comparer), denn nur dadurch wäre Fortschritt möglich [9]. Das Zurschaustellen von Objekten lokaler Produktion auf internationalen Ausstellungen hat in diesem Sinn mehrere Funktionen und Folgen: In ihrer Gesamtheit zeigen die Ausstellungen durch das Miteinbeziehen der „ganzen Welt“ [10] – wie im Zitat von Prinz Albert weiter oben angegeben – eine Momentaufnahme des Status quo der Menschheit. Die ausstellenden Nationen sind Teil dieses Gesamtbildes, stehen gleichzeitig aber auch im Kontrast zueinander. Durch die Auswahl an Objekten, die sie auf den Veranstaltungen zeigen, werden nationale Bilder konstruiert. Die Teilnehmenden sind gezwungen, sich Gedanken zu ihrer eigenen Identität zu machen. Dabei geht es jedoch weniger um ihre Selbstwahrnehmung (im Sinne von „Wer sind wir?“); viel eher stellt sich die Frage „Wer wollen wir sein?“ Die ausstellenden Nationen präsentieren sich von ihrer attraktivsten Seite. Sie wollen beeindrucken, überbieten, wettbewerbsfähig sein und tun dies anhand greifbarer materieller Kultur, sprich anhand der Objekte, die sie ausstellen. Dies ist ein Ansporn für die anderen, ebenfalls die besten ihrer eigenen Produkte zu zeigen. Mittels Weltausstellungs-Wettbewerbe verschiedener Art, im Rahmen derer auch Preise vergeben werden, wird ein weiterer Anreiz für die stetige Verbesserung der eigenen Produktivität geschaffen. Die damit verknüpften Absichten können mannigfaltig sein, sind jedoch letzten Endes meist ökonomischer Natur. Die Weltausstellungen sind eine Plattform für Austausch und für neue Absatzmärkte. Dort kann ich sehen, ob andere etwas haben, das ich nicht habe. Will ich dieses Produkt, so muss ich mich fragen: „Wage ich mich selbst an die Produktion oder profitiere ich davon, dass sich bereits jemand anderes ihrer angenommen hat?“ Auf der anderen Seite sehe ich auch, ob ich etwas habe, das die anderen nicht haben. Um daraus eine für mich profitable Situation entstehen lassen zu können, fehlt aber eine Komponente: „Damit der Fremde von uns kauft, müssen wir zuerst wissen, was er will. Und um das zu wissen, müssen wir sehen, was er von den anderen erwirbt.“ (Pour que l’étranger achète de nous, sachons d’abord ce qu’il veut; et pour l’apprendre, il faut voir ce qu’il acquiert des autres [11].) So formuliert es Boucher de Perthes knapp 20 Jahre vor der ersten Weltausstellung. Was er in einer Zeit, zu der in Frankreich noch ausschließlich lokale Messen veranstaltet werden, fordert, ist eine europäische Ausstellung. Seine Perspektive hat für eine internationale Veranstaltung wie die Weltausstellung noch nicht gereicht [12], diese entspricht aber umso mehr seinen Forderungen.

Einem weiteren Aspekt muss Aufmerksamkeit gewidmet werden: Veranstaltungen dieser Art haben öffentlichen Charakter. Selbst eine Person, die nicht direkt in die Schaustellung einer Nation auf der Weltausstellung involviert ist, kann sich dort ein Bild des globalen Entwicklungsstadiums machen. Dies bedeutet, dass auch die breite Öffentlichkeit dazu eingeladen ist, Vergleiche anzustellen. Im 19. Jh. ist die Rede von einer Bildung, Schärfung oder Veredelung des Geschmacks durch die Konfrontation mit unbekanntem Material [13]. Mit modernem Vokabular kann zumindest von einer Perspektivenerweiterung gesprochen werden. Die Weltausstellungen erfüllen somit auch einen Bildungsauftrag [14]. Nicht zu vernachlässigen ist zuletzt auch die politische Bedeutung der Abhaltung einer solchen Großveranstaltung. London und Paris hatten zwischen 1851 und 1867 jeweils zwei Mal gezeigt, dass sie in der Lage waren, eine Weltausstellung mit gewaltigem Aufwand durchzuführen. Nach den Niederlagen des Kaisertums Österreich im Sardinischen (1859) und im Deutschen Krieg (1866) sah man in Wien die Veranstaltung einer Weltausstellung als willkommene Möglichkeit, sich selbst wieder in gutem Licht auf der Weltbühne darzustellen.

Die Weltausstellungen waren eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Sie machten die Vergleichbarkeit zum zentralen Thema ihrer Aktivität [15]. Der daraus resultierende Wettbewerb wurde als treibender Faktor für eine Entwicklung diverser Produktionen erachtet. Davon profitierten nicht nur Industrielle auf ökonomische Weise, sondern auch die breite Bevölkerung in Hinblick auf Bildung und die Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände.

Quellen

[1] Japan Association for the 2025 World Exhibition, Online: https://www.expo2025.or.jp/en/overview/purpose/ & Umweltbundesamt, Online: https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/nachhaltigkeit/17sdgs.

[2] Royal Commission, Great Exhibition of the works of industry of all nations. Official descriptive and illustrated catalogue, London 1851.

[3] Ebd. /S. 3.

[4] Ebd. / S. 3.

[5] Ebd. / S. 4.

[6] Ebd. / S. 4.

[7] Boucher de Perthes, Petit Glossaire. Traduction de quelques mots financiers. Tome second, Paris 1835. / S. 156-157.

[8] Auch der Katalog zur Great Exhibition 1851 macht das explizit. Siehe: Royal Commission, 1851. / S. 4.

[9] Boucher de Perthes, Petit glossaire. Traduction de quelques mots financiers. Tome premier, Paris 1835. / S. 290-291.

[10] Das stimmt offensichtlich nur bis zu einem gewissen Grad, da im 19. Jh. immer nur eine Auswahl an Nationen und nie alle auf Weltausstellungen vertreten waren.

[11]  Boucher de Perthes, Petit glossaire. Traduction de quelques mots financiers. Tome premier, Paris 1835. / S. 290-291.

[12] Ebd.

[13] Eva Kernbauer/Kathrin Pokorny-Nagel/Raphael Rosenberg/Julia Rüdiger/Patrick Werkner/Tanja Jenni (Hg.), Rudolf Eitelberger von Edelberg. Netzwerker der Kunstwelt, Wien/Köln/Weimar 2019. / S. 12 & 17.

[14] Wer hier an Museen denkt, wird diesen Gedanken im Text („China in London und Paris 1851-1867“) weitergeführt finden.

[15]

Royal Commission, Great Exhibition of the works of industry of all nations. Official descriptive and illustrated catalogue, London 1851. / S. 1.

Veröffentlicht: 2023