Objekte

Elfenbeinkassette

Helena Grünsteidl

Rudolf von Eitelberger (1817-1885), der erste Direktor des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heutiges MAK), förderte das Großereignis der Wiener Weltausstellung 1873 durch die Organisation des weltweit ersten internationalen kunstwissenschaftlichen Kongresses in Wien, durch Spezialausstellungen, sowie durch die Herausgabe der Festschrift „Das k.k. Österreichische Museum und die Kunstgewerbeschule. Festschrift bei Gelegenheit der Weltausstellung in Wien“. Gleichzeitig ergriff Eitelberger die Chance, vor allem die asiatische Sammlung des Museums deutlich zu vergrößern und damit bedeutende Ankäufe zu tätigen. Im Zuge dessen kam es zu einem besonders intensiven Austausch mit Japan, doch ebenso fanden Objekte chinesischer Herkunft Einzug in die Sammlungsbestände des Museums [1].

Der folgende Beitrag stellt exemplarisch eines dieser im Rahmen der Wiener Weltausstellung 1873 angekauften, aus China stammenden Objekte vor.

ABB.1: Handschuhkassette, um 1870, Elfenbeinschnitzerei, 5,1 x 18,4 x 8,5 cm, Museum für angewandte Kunst, Wien, PL 307.
ABB.2: Handschuhkassette, um 1870, Elfenbeinschnitzerei, 5,1 x 18,4 x 8,5 cm, Museum für angewandte Kunst, Wien, PL 307.

Die längliche, 5,1 cm hohe, 18,4 cm breite und 8,5 cm tiefe Elfenbeinschatulle [ABB.1/ABB.2] diente der Aufbewahrung von Handschuhen. Verbunden wurden Ober- und Unterteil der Box anhand zweier goldener Metallscharniere, die sich an der Hinterseite der Kassette befinden. Ein mittig an der Vorderseite platziertes goldfarbenes Schlüsselloch lässt zudem darauf schließen, dass die Schatulle mit Hilfe eines Schlüssels verschlossen werden konnte. Der Verbleib des Schlüssels ist unklar. Insgesamt dekorieren neun ovale, kleinformatige Elfenbeinschnitzereien, die unterschiedliche figürliche Szenen in chinesischen Gartenlandschaften zeigen, die Kassette. Drei dieser oval gefassten Schnitzereien schmücken den Deckel, jeweils zwei die Vorder- und Hinterseite, sowie je eine Szene die beiden Seitenteile der Schatulle.  Zudem ziert eine ebenfalls durch Elfenbeinschnitzerei geschaffene, ornamenthafte Umrandung die Oberfläche des Kassettendeckels. Das Innere der materialsichtigen, unbemalten Schatulle ist weder durch Einlagen unterteilt noch durch weiteren Dekor geschmückt

Anhand des MAK-Spezialinventars für Kleinplastik [2] lässt sich der Ankauf der hier besprochenen Kassette zurückverfolgen. So wurde die „Handschuhcassette mit Deckel, Chinesisch“ laut Eintrag „angekauft auf der Weltausstellung“. Mithilfe des Inventarisierungsdatums des Objekts – 13. November 1873 – können weitere Rückschlüsse bezüglich des Ankaufzeitpunkts gezogen werden. Die ausführende Person der Kassette bleibt unbekannt, fest steht jedoch, dass das Objekt aus China stammt. Die Asien-Abteilung des MAK datiert die Schatulle darüber hinaus auf einen Entstehungszeitpunkt „um 1870“ und ortet „Guangzhou (Kanton)“ als Ort der Herstellung [3].

Besonders interessant ist zudem die  sich in der Kassette befindende, in den Farben Blau-Weiß gehaltene Geschäftskarte des Unternehmens „Carlowitz & Co, Canton“, welche den Verkäufer/Vorbesitzer der Kassette identifiziert [ABB.2]. Darüber hinaus listet der im Jahre 1873 von Gustav Ritter von Overbeck („k. k. österr.-ung. General-Consul“ [4]) angefertigte „Special-Catalog der chinesischen Ausstellung III. Abtheilung. Boden-, Industrie- & Kunst-Produkte“ unter anderem die auf der Wiener Weltausstellung 1873 angebotenen und gezeigten Waren des Betriebs „Carlowitz & Co, Canton“ auf. Dies ermöglicht es, eine weitere Verbindung der Kassette und der Wiener Weltausstellung aufzuzeigen. So findet sich etwa unter Eintrag 1082 eine „Handschuhcassette“ des Unternehmens, die der hier vorgestellten entsprechen könnte (Abb. 14) [5]. Außerdem erschließt sich anhand der Geschäftskarte sowohl der Verwendungszweck der Elfenbeinschatulle „1 Handschuhcassette“, als auch deren Ankaufspreis von „fl 21,60“ [6]. Dem „Historischen Währungsrechner“ der Österreichischen Nationalbank zu Folge, entspricht dies in etwa der heutigen Kaufkraft von 280 Euro. Gegenwärtig sind Fotografien und Kurzinformationen des Objekts in der „MAK Sammlung Online“ aufrufbar (https://sammlung.mak.at/sammlung_online?id=collect-44918).

Abschließend ist zu betonen, dass zusätzlich zwei weitere chinesische Elfenbeinkassetten im Zuge der Wiener Weltausstellungsankäufe in die MAK-Asien-Sammlung aufgenommen worden sind. Die laut Inventareintrag ebenfalls Schnitzereien aufweisenden Schatullen (MAK- Inventarnummern: PL 311 und PL 312), sind in „Modern Chinesischem“ Stil gestaltet worden und wurden am 13. Dezember 1873 inventarisiert. Die beiden Boxen dienten der Aufbewahrung von Schmuck. Auch hier lässt sich der Verkauf der Objekte nachvollziehen: Das Unternehmen „Lee ching in Canton“ wurde als Verkäufer/Vorbesitzer der Boxen in den Inventarbüchern vermerkt. Da sich die beiden Schmuckkassetten seit 1943 nicht mehr in der Sammlung des Museums für angewandte Kunst befinden, ist es der Autorin an dieser Stelle unmöglich, nähere Erläuterungen bezüglich des Erscheinungsbildes der Objekte zu geben [7].

Quellen

[1] o.A., Weltausstellung in Wien 1873, MAK Blog, Wien 2013, https://blog.mak.at/weltausstellung-in-wien-1873/, 03.01.2023.

[2] Nach Ankauf/Schenkung eines Objektes wird dieses umgehend von Sammlungsmitarbeiter*innen des MAK in das Hauptinventar aufgenommen. Anschließend werden die darin festgehaltenen Informationen in das jeweilige Spezialinventar übertragen. Das Spezialinventar für Kleinplastik umfasst ausschließlich Objekte dieser Art.

[3] Eintrag „PL 307“ in Spezialinventar Kleinplastik/Eintrag MAK-Hauptinventar „HIR 826“/Axiell-Eintrag zu Objekt. 

[4] Gustav Ritter von Overbeck, Special-Catalog der chinesischen Ausstellung III. Abtheilung. Boden-, Industrie- & Kunst-Produkte, Wien 1873. / S. 3.

[5] Ebd. / S. 33.

[6] Eintrag „PL 307“ in Spezialinventar Kleinplastik/ Eintrag MAK-Hauptinventar „HIR 826“/Axiell-Eintrag zu Objekt. 

[7] Eintrag „PL 311“ und „PL 312“ in Spezialinventar Kleinplastik/Axiell-Eintrag zu Objekten.

[ABB.2] Helena Grünsteidl, Wien 2023.

Veröffentlicht: 2023