Vorgeschichten

„Fortschritt, Wohlstand, Verbreitung nützlicher Kentniße“:
Wie der k.k. Diplomat Heinrich von Calice der chinesischen Regierung die Idee einer Weltausstellung beschrieb (1/4)

Lukas Nickel

Baron Heinrich Joseph Aloys Graf von Calice (1831–1912), ein erfahrener Diplomat und Beamter des k.k. Aussenministeriums, trat im November 1871 den Posten eines Ministerresidenten und Generalkonsuls erster Klasse in Shanghai an. Sein Aufgabenbereich umfasste die diplomatische Betreuung von China, Japan und Siam (Thailand). Er wurde damit zum ersten offiziellen und zum hochrangigsten Vertreter des österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in Ostasien.

Bereits seit zwei Jahren bereiste Calice zu dieser Zeit verschiedene ostasiatische Metropolen. Als Vertreter des k.k. Aussenministeriums nahm er an der ausgedehnten österreichisch-ungarischen Ostasienexpedition teil, die diplomatische und wirtschaftliche Kontakte in Edo, Peking und weiteren Regierungssitzen knüpfen sollte. In dieser Funktion hatte er bereits am 21. Oktober 1870 der chinesischen Regierung die Ankündigung des Vorhabens einer Weltausstellung in Wien überbracht.

Die chinesische Regierung reagierte damals wohlwollend auf die Ankündigung. Wie schon bei früheren Weltausstellungen stellte sie Zollfreiheit für Waren, die nach Wien gesendet werden sollten, in Aussicht, und sie beauftragte die Superintendenten für Handel des Nordens und des Südens, die höchsten mit der Kontrolle von Handelsfragen betrauten Beamten, die Seezollämter und die Öffentlichkeit über das Wiener Projekt zu informieren.

Seit der Verlautbarung von 1870 war in China jedoch wenig geschehen. Weder traten private Gewerbetreibende hervor, die ihre Waren in Europa ausstellen wollten, noch fand sich die Regierung bereit, einen chinesischen Pavillon auf der Weltausstellung zu organisieren. Als Calice anlässlich seiner Akkreditierung mit dem Fürsten Gong (恭親王 oder Yixin 奕訢, 1833–1898), einem der einflussreichsten chinesischen Politiker der Zeit, zusammentraf, äusserte sich dieser pessimistisch über die Aussicht des Zustandekommens einer chinesischen nationalen Ausstellung. Er glaubte, wie unten zu sehen, dass chinesischen Händlern und Industriellen das „Verständniß des Nutzens eines ihnen so fremdartigen und in einem so weit entlegenen Lande stattfindenden Unternehmens“ abginge, und dass schon allein die Entfernung und die hohen Transportkosten sie von einer Teilnahme abhalten würden. Es zeichnete sich ab, dass China sich, wie schon bei den vorangegangenen Weltausstellungen in London und Paris, passiv verhalten und die Präsentation chinesischer Waren und Kunstwerke allein europäischen Händlern und Sammlern überlassen würde.

Im Frühjahr 1872 drängte der Direktor der Weltausstellung, Wilhelm Freiherr von Schwarz-Senborn (1816—1903), den Ministerresidenten, alles zu unternehmen, um eine chinesische Teilnahme zu bewirken.

Sofort entwickelte der Diplomat Calice einen umfassenden Plan. Zunächst liess er das Ausstellungsprogramm ins Chinesische übersetzen. Dann verhandelte mit verschiedenen Provinzgouverneuren und forderte die amtierenden k.k. Konsuln in den Hafenstädten auf, die lokalen Beamten anzusprechen und zur Mitarbeit zu ermutigen. Weiterhin schickte Aufforderungen zur Einlieferung von Waren an christliche Missionen im ganzen Land, sowie an zahlreiche in China tätige Europäer. Schliesslich versuchte er, den Leiter des chinesischen Seezolldienstes Robert Hart und die chinesische Handelskammer in Shanghai einzubinden. Anfang Juli 1872 verschickte er innerhalb von wenigen Tagen fast 40 solcher Einladungen.

Diese fast hektische Aktivität sollte den Boden bereiten für den wichtigsten Schritt in seinem Plan: die persönlichen Verhandlungen mit den mächtigesten Politikern des Qing-Reiches. Ende Juli reiste er deshalb nach Peking, um bei Gong und den Leitern des Zongli Yamen, der für auswärtige Beziehungen verantwortlichen Behörde, vorzusprechen und sie zu bewegen, nach dem Beispiel von Japan und anderen Ländern eine eigene Ausstellungskommission einzusetzen und die Gestaltung der chinesischen Ausstellung in Wien in die eigene Hand zu nehmen.

Vor seinem ersten Treffen mit Gong reichte er ein Schreiben ein, das der Regierung das Konzept und die Zwecke von Weltausstellungen erläutern und vor allem die Wiener Pläne genau darlegen sollte. Eine Abschrift der deutschen Version des wichtigen Textes, die Calice an das Aussenministerium in Wien weiterleitete, ist vor kurzem im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien aufgetaucht [ABB.1].

ABB.1

Quellen

[ABB.1] Foto Lukas Nickel

Veröffentlicht: 2023