„Fortschritt, Wohlstand, Verbreitung nützlicher Kentniße“:
Wie der k.k. Diplomat Heinrich von Calice der chinesischen Regierung die Idee einer Weltausstellung beschrieb (4/4)
Lukas Nickel
Da die chinesische Regierung bisher kaum Verständnis für den Sinn einer Weltausstellung zeigte und sie einfach als Handels- und Verkaufsmesse verstand, streicht Calice nun – neben dem kommerziellen Nutzen – verschiedene weitere Vorteile heraus und betont vor allem das Thema Bildung und Erziehung.
So wie früher an Großbritannien und Frankreich, so ist dießmal an die k. u. k. Monarchie die Reihe gekommen eine Weltausstellung abzuhalten und die Sorge, dieselbe so vollkommen als möglich einzuleiten.
Was nun aber der Nutzen solcher Ausstellungen überhaupt betrifft so hat die Erfahrung mehr und mehr dargethan, daß derselbe keineswegs ein bloß commercieller ist
Allerdings erhalten damit einzelne Producenten, ja ganze Völker die Gelegenheit vor aller Welt darzuthuen, was sie Gutes und Vorzügliches leisten, und so den Kreis der eigenen Kundschaft zu vermehren. Ein höherer und weitertragender Nutzen liegt aber in dem ungeheuren Schatze werthvoller Belehrung jeder Art, welche eine solche Weltausstellung allen Ständen und Claßen darbietet, und gehörig geleitet in höherem Grade darbieten kann, als es bei den früheren Gelegenheiten der Fall gewesen ist.
Das oben mitgetheilte Programm beweist, wie sehr nun auf diese allgemeinen Zwecke Rücksicht genommen werden soll, und ich beehre mich insbesondere auf jene Abtheilungen des Programms mich zu berufen, welche sich auf Ackerbau, Minnenwesen (Bergbau?), Land, See- und Festungsbau, Straßen und Communikationen, Armee und Flotte, Erziehung und Schulen beziehen, lauter Gegenstände, welche von jeher die besondere Sorgfalt der Regierungen für sich in Anspruch nahmen. Welchen Vortheil es aber für Sachverständige hat, das Beste und Vorzüglichste in jedem einzelnen Fache, was die verschiedenen Nationen leisten, auf einem Punkte vereinigt zu finden, während die volle Kenntnißsnahme alles deßen sonst nur durch langjährige Reisen und beschwerliche Studien kaum zu erlangen wäre, und welches mächtige Mittel allseitigen Fortschrittes und daher zunehmenden Wohlstandes und Wohlbefindens aller hierin gefunden wird, brauche ich der erleuchteten Einsicht Eurer Kais. H und Ihrer Ex. wohl nicht auseinander zu setzen.
In dieser Erkenntniß liegt aber auch der Grund, weshalb die k. u. k: Regierung den allgemeinen Austausch und die Verbreitung nützlicher Kenntniße und Erfahrungen zu dem Hauptzwecke der gegenwärtigen Ausstellung macht, und deshalb auch die anderen Regierungen, jede in ihrem Kreise, bemüht sind nach Kräften zu ihrem Erfolge beizutragen.
Als seine letzte Trumpfkarte zieht Calice nun den Bogen zu dem Vertrag, den die Doppelmonarchie mit dem chinesischen Kaiserreich 1871 geschlossen hatte. Die Förderung des Friedens und der Freundschaft zwischen beiden Ländern war dort ein Thema, und Calice stellt die Suggestion in den Raum, dass der Inhalt des Vertrages eine Teilnahme der chinesischen Regierung nahelegen würde.
Eure Kais. H. und Ihre Exc. werden ferner auch nicht verkennen, daß das in Rede stehende Unternehmen in ausgeprägtester Weise die Tendenz hat, Frieden und Freundschaft unter den Völkern zu fördern, eine Tendenz, welcher die Sympatie der kais. chinesischen Regierung gewiß nicht fehlen wird. Auch würde es der erst kürzlich durch einen Vertrag befestigten beiderseitigen Freundschaft nicht entsprechen, wenn meine h. Regierung nicht von dem Wunsche beseelt wäre, daß auch die kais. chines. Regierung an einem so gemeinnützigen Unternehmen mitwirke, an welchem alle andern civilisirten Nationen der Erde in so hervorragender Weise sich betheiligen, und gewiß würde eine solche freiwillige Mitwirkung der Kais. Regierung vor den Augen der gesammten Welt als ein neuer Beweis Ihrer freundlichen Gesinnungen gelten und zugleich ein schönes glückverheißendes Blatt in der Regierung Sr. Kais. Maj. Des gegenwärtig herrschenden Monarchen bilden.
Geschickt charakterisiert Calice die Weltausstellung und die Rolle, die Regierungen dabei einnehmen sollten, auf eine Art, der sich auch die chinesische Regierung kaum verschliessen könnte, und der Verweis auf den österreichisch-chinesischen Vertrag erhöht den Druck auf Gong zusätzlich. Nun jedoch, ganz als Diplomat, rudert Calice zurück. Er räumt ein, dass es sich nicht um vertragliche Verpflichtungen, sondern Wünsche seiner Regierung handele, und dass Prinz Gong und das Zongli Yamen ganz nach ihrem Ermessen entscheiden können.
Es versteht sich von selbst, daß meine hohe Regierung bei der auch von ihr anerkannten Schwierigkeit eine größere Theilnahme chines. Privatleute an dieser Ausstellung herbeizuführen keineswegs erwarten könnte, daß die Theilnahme des chines. Reiches an diesem Werke in ebenso ausgedehtem oder in einem ähnlichen Maße eintrete, wie seitens der näher gelegenen Staaten Amerika‘s und Europa‘s. Meine hohe Regierung gibt sich aber der Hoffnung hin, daß die hohe Kais. Regierung dieser Angelegenheit und ihren gemeinnützigen Zwecken Ihre gütige Aufmerksamkeit schenken und die Frage in Erwägung ziehen werde, durch welche Mittel und Maßregeln der Erfolg derselben auch seitens der hohen Kais. Regierung gefördert werden könnte.
Eine Unterstützung dieses Unternehmens seitens der hohen Kais. Regierung würde aber meine hohe Regierung um so höher zu schätzen wißen, als eine solche Unterstützung lediglich Sache der Gefälligkeit und des guten Willens wäre, wofür irgend eine vertragsmäßige Verpflichtung nicht besteht.
Genehmigen etc
Die positiven Züge, in denen Calice die Idee der Weltausstellung umreisst, passen gut in die von kultureller und wirtschaftlicher Euphorie geprägte frühe Gründerzeit. Prinz Gong jedoch liess sich nicht so einfach überzeugen. Wie die Treffen mit dem Prinzen und den Vertretern des Zongli Yamen verliefen und was Calice erreichte, ist Gegenstand eines angehenden Forschungsprojektes an der Uni Wien.
Veröffentlicht: 2023