„Fortschritt, Wohlstand, Verbreitung nützlicher Kentniße“:
Wie der k.k. Diplomat Heinrich von Calice der chinesischen Regierung die Idee einer Weltausstellung beschrieb (2/4)
Lukas Nickel
Es gibt nur wenige Zeugnisse, die die Vision einer Weltausstellung, wie sie im 19. Jh. gern projiziert wurde, so anschaulich festhalten und die Vorstellungen von Fortschritt, Gemeinnutzen und internationaler Annäherung, die man mit internationalen Ausstellungen verband, so eindrücklich auffächern. Zudem gibt der Brief einen unerhört genauen Einblick in Calice’s Strategie zur Überzeugung der chinesischen Regierung. Deshalb soll hier das Dokument in vollständiger Transkription vorgestellt werden:
1873 H.P. 25 1/1. Beilage V. ad No 9/H.P. (China)
Abschrift einer Note des k: u. k: Minister-Residenten Hn. H. v. Calice an Se Kais. Hoheit den Prinzen Kung und Ihre Excellenzen die Minister des Tsungli-Yamen, dtto Peking, 28. Juli 1872.
Ich habe bereits wiederholt die Ehre gehabt Eu. K. H. und Sr Ex auf die für das Jahr 1873 projektirte Weltausstellung in der k: k: Hauptstadt Wien aufmerksam zu machen und Namens meiner hohen Regierung zur Unterstützung und Förderung dieses gemeinnützigen Unternehmens einzuladen.
Eu. K. H. und Ihr. Exz. haben laut Mittheilung vom 26. October 1870 auch bereits die Güte gehabt, meinem Ersuchen entsprechend, die Handelssuperintendenten des Nordens und das Südens von dem Projectirung dieser Ausstellung in Kenntniß zu setzen, damit diese die Zolldirectoren, und letztere wieder die Handels- und Gewerbsleute weiter davon verständigen. Ferner ist, wie ich aus einem Schreiben des General-Inspectors der kais. Seezölle vom 31. December v. J. entnommen habe, für alle Sendungen, welche aus den chinesischen Vertragshäfen mit der Bestimmung für die Wiener Weltausstellung gemacht werden sollten, volle Zollfreiheit gewährt.
Wie in diplomatischen Schreiben üblich, listet Calice zunächst bisherige Kommunikation zum Thema auf. Die genauen Daten sollten den chinesischen Beamten erlauben, die Briefe und Akten in ihren Archiven zu lokalisieren und das Treffen vorzubereiten.
Ich habe nicht ermangelt diese gefälligen Maßregeln zur Kenntniß meiner h. Regierung zu bringen. Auch habe ich derselben den Inhalt der persönlichen Rücksprache einberichtet, welche ich während meines letzten Besuches in Peking im Spätherbste v. J. mit dem h. Tsungli-Yamen über diesen Gegenständ hatte, und woraus sich ergab, daß Eu. K. H. und Ihr. Ex. dem in Rede stehenden Unternehmen Ihr Intereße und Ihre Sympathie nach wie vor nicht versagen, und demselben gern diejenige Unterstützung zu gewähren bereit sind, welche seitens der Regierung gewährt werden kann, daß jedoch Eu. Kais. H. und Ihre Exc. die Möglichkeit des Zustandebringens irgend einer nennenswerthen Betheiligung dieses Landes an jener Ausstellung sehr bezweifeln, da der chines. Handels- und Gewerbetreibende das Verständniß des Nutzens eines ihnen so fremdartigen und in einem so weit entlegenen Lande stattfindenden Unternehmens nicht hat, während andererseits die große Entfernung und die verhältnißmäßig hohen Transportkosten schon an und für sich jede solche Theilnahme bedeutend erschweren.
Die k: u. k. Regierung anerkennt diese Schwierigkeiten und fühlt sich für das freundliche Intereße, welches Eu. Kais. H. und Ihre Exc. dem mehrbesagten Unternehmen entgegenbrachten und welches in den vorhin erwähnten beiden Maßregeln einen praktischen Ausdruck gefunden hat, Hochdenselben um so mehr zu Dank verpflichtet.
Inmitten von höflichen Floskeln verschiebt Calice den Tenor des Briefes. Er stellt sein Vorhaben nicht als seine eigene Initiative, sondern als eine Kommunikation zwischen zwei gleichwertigen Kaiserhäusern dar. Anschliessend kommt er zum Hauptanliegen.
Ich bin beauftragt, diesen Dank der k: u. k: Regierung Eu. Kais. H. und Ihren Ex. ergebenst auszudrücken. Meine hohe Regierung hat mich ferner beauftragt, Hochdenselben das ausführliche Programm der Ausstellung mitzutheilen, von dem Verlaufe der Vorbereitungen, welche im In- und Auslande für dieselbe gemacht wurden Kenntniß zu geben, und zugleich der Erwägung Eu. Kais. H. und Ihrer Ex. anheimzustellen, ob sich nicht ungeachtet der obbesagten Schwierigkeiten Mittel und Wege finden laßen, durch welche, in analoger Weise wie es seitens der anderen Regierungen geschieht, auch seitens der kais. chinesischen Regierung eine in der That praktische Unterstützung des Unternehmens bewirkt werden könnte?
Nachdem ich nun das besagte Programm der Ausstellung in die chines. Sprache habe übersetzen laßen, nehme ich nur die Freiheit, einige Abdrücke dieser Uebersetzung, sowie auch einige Abdrücke einer englischen Version desselben Prorammes Eu. Kais. H. und Ihren Ex. zur geneigten Kenntnißnahme und dem Hochdenselben geeignet scheinenden weiteren Gebrauche ergebenst zu übermachen.
Das Programm der Weltausstellung übersetzte Josef Haas (1847—96), der junge Dolmetscher am Konsulat in Shanghai, und publizierte sie unter dem Titel 奥国公会堂文件同治十一年四月翻译官夏士作 im May 1872.
Veröffentlicht: 2023