Figur einer Guanyin (3/3)
Carolin Kayali
In der Titulierung des Objekts auf dem Etikett wurde das Augenmerk jedoch weniger auf den symbolischen Wert gelegt, sondern vielmehr auf den materiellen. Hergestellt wurde die Figur offenbar aus dem Mark des Reispapierbaumes – genauer Tetrapanax papyrifera aus der Familie der Aralia – der in China heimisch ist. Die Bezeichnung Papier ist hierbei irreführend, denn es handelt sich nicht um gschöpftes Reisstrohpapier. Zur Gewinnung des Reispapiers werden Äste des Baumes in zylinderförmige Stücke geschnitten und in Wasser gelegt oder gekocht, sodass sich das Mark unterhalb der Rinde ablösen lässt. Nach der Trocknung kann es weiterverarbeitet werden. Die zylinderförmigen Markstücke können gepresst und verformt werden und besitzen eine gute Formbarkeit und lange Lebensdauer [7]. Ob die gesamte Guanyin Figur aus dem Reispapiermaterial angefertigt wurde, oder nur Teile davon, ist unklar. Das TMW listet die Figur zusätzlich unter der Kategorie Holz und in der Sammlung 520 Holzbearbeitung, was darauf schließen lässt, dass nicht nur das Mark des Reispapierbaums zur Herstellung verwendet wurde oder keine genaueren Informationen über die Technik bekannt sind.
Als Exponat auf der Weltausstellung repräsentiert das Objekt China in doppelter Weise: einerseits ikonografisch-religiös, indem es die Symbolik und Tradition des Mahayana-Buddhismus verkörpert; und andererseits in der Materialität, da es ein Beispiel für die chinesische Handwerkskunst samt dem Umgang mit den lokalen Materialien ist. Die Besucher*innen der Weltausstellung konnten anhand dieses Exponats womöglich das chinesische Kunsthandwerk, typische Materialien wie Reispapier sowie die Ikonografie einer chinesischen Religion erfahren .
In welchem Bereich und mit welchen anderen Exponaten die Figur auf der Weltausstellung inszeniert wurde ist nicht bekannt. Im Special-Catalog der chinesischen Ausstellung ist das Objekt nicht gelistet [8]. Auch bezüglich der Datierung sind keine Dokumente auffindbar. Es ist möglich, dass das Objekt kurz vor der Weltausstellung 1873 als Handelsgut hergestellt wurde, es könnte aber auch aus früherer kunsthandwerklicher Tätigkeit . Ob der Status der Figur als Devotionalie auf der Weltausstellung bekannt war, ist unklar. Sie wurde lediglich als Figur aus dem Mark der aralia papyrifera beschrieben. Die Titulierung als Göttin wurde offenbar nicht weiter ans Publikum vermittelt.
Die Titulierung als Göttin wurde offenbar nicht weiter ans Publikum vermittelt. Ähnliche Objekte, die als „Stehmännchen aus Papiermaché, Canton“ [10], „unbewegliche Thiergestalten aus Papiermaché, Canton“ [11] oder „Gliederpuppen aus Canton“ [12] im Katalog der chinesischen Ausstellung unter Gruppe XVI Bildungswesen gelistet sind, befanden sich im Pavillon des Kleinen Kindes [ABB.8], der unter anderem Erziehung und Bildung thematisierte. Auch auf Fotografien der chinesischen Abteilung sind zahlreiche kleine Figuren zu erkennen.
Heute befindet sich die Figur im Depot des Technischen Museums und wurde dort nie ausgestellt. Der Weg von der Wiener Weltausstellung 1873 dorthin ist bislang noch ungeklärt. Noch während der Ausstellung wurde ein Komitee gegründet, das für den Erhalt der ausgestellten Objekte zuständig war. 1874 wurde – ebenfalls für den und für den Handel – das Orientalische Museum gegründet, in dessen Sammlung wohl auch die Figur aus dem Mark der Aralia papyrifera überging. 1898 wurde die Warenkundesammlung des Orientalischen Museums (zu dem Zeitpunkt bereits k.k. Österreichisches Handelsmuseum) an die Exportakademie übermittelt und gelangte darüber 1922 an die Hochschule für Welthandel. Von dem dortigen Institut für Technologie und Warenwirtschaftslehre erwarb das Technische Museum Wien 1985 den größten Teil seiner Warenkundesammlung, samt unserer Guanyin.
Quellen
[7] Robert E. Perdue u. Charles J. Kraebel, Tetrapanax Papyriferum, in: Economic Botany, Vol. 15, No. 2, 1961, S. 165-179. / S. 171. & Bruna Lanfranchi, Reispapier, in: Material Archiv, Gewerbemuseum Winterthur, 2008 (URL: https://materialarchiv.ch/de/ma:material_411).
[8] Gustav Ritter von Overbeck, Special-Catalog der chinesischen Ausstellung. III. Abtheilung: Boden-, Industrie- & Kunst-Produkte. Wiener Weltausstellung 1873, Wien 1873.
[9] Ebd. / S. 48 – Objektnr. 1514.
[10] Ebd. / Objektnr. 1511.
[11] Ebd. / Objektnr. 1518.
[12] Susanne Gruber, Die Warenkundesammlung am Technischen Museum Wien und deren Wurzeln von der Wiener Weltausstellung 1873, in: Schriften Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse 151-152, 2013, S. 89-104.
Veröffentlicht: 2023