“Chinas” Abschlusskonzert
Daniel Riccobono
Nachdem nun die Weltausstellung am 02. November 1873 vorüber war, erschien im nichtamtlichen Teil der Vorarlberger Landes-Zeitung des 01. Novembers 1873 ein Kurzbeitrag mit dem Titel „Ausstellungsfest“ mit der Ankündigung:
der „[…] Herr Sectionschef Baron Hofmann“ – ein Mitglied der Kommission für die Organisation der Weltausstellung [1] – „[habe] auf Ersuchen und im Namen der kaiserl. chinesischen Weltausstellungs-Commission dem Direktor des Operntheaters Herrn Herbeck [2] zehntausend Gulden in Silber zur Verfügung gestellt behufs Veranstaltung einer Festlichen musikalischen Produktion […]”.
Die chinesische Weltausstellungs Commission will dadurch dem Gefühle des Dankes Ausdruck geben für die Aufnahme, welche dieselbe in Wien gefunden. Das Fest soll am 4. November Abends in dem großen Musilkvereinssaale stattfinden [3]. Die Bürger der Gastgeberstadt jedoch scheinen von diesem Konzert wenig profitiert zu haben, hatte nur ein äußerst limitierter Personenkreis Zugang zu ebendieser Veranstaltung, wie auf der Titelseite der Morgen-Post des 01. November 1873 zu lesen ist:
„Wien zerbricht sich den Kopf darüber, wieso denn China durch die zu einem Konzerte gespendeten zehntausen Gulden den Wienern seinen Dank ausbringen kann, wenn die Musikproduktion nicht öffentlich, sondern nur vor einem kleinen Theile Geladener in geschlossenem Raume stattfindet? [4]“
Diese unglückliche Ausführung scheint der mangelnden diplomatischen Vertretung des chinesischen Kaiserreiches am habsburgischen Hof geschuldet zu sein, weshalb das Arrangement des Dankausdruckes einem „Hiesigen” [5] überlassen werden musste. Erneut auf der Titelseite derselben Zeitung, der Morgen-Post des 06. November 1873, berichtet derselbe Autor [6] – der zu den wenigen Geladenen der Musikproduktion gezählt haben muss – vom „chinesischen Konzert“ [7] diesmal jedoch unter dem Pseudonym des „Mandarinen Tschu=ha=ho“ [ABB.1/ABB].
Die „hiesige“ Veranstaltung, wenngleich im Namen des chinesischen Kaiserreiches ausgeführt, scheint den Autor dazu veranlasst zu haben, den Beitrag als sarkastische Parodie zu gestalten, in der das Konzert im Wiener Musikverein – im Sinne eurozentrischer Stereotypisierung – als eine musikalische Chinoiserie beschrieben wird. So finden sich unter den Geladenen dieser „musikalischen Abendunterhaltung“, deren Namen zwecks dieser „chinesisch“ abgestimmten Persiflage in Silben getrennt wurden, eine „Prinzessin Cam=Brid=Ge sammt ihrem Gemal dem Prinzen Teck“ (das Ehepaar Prinzessin Mary Adelaide von Cambridge (1833-1897) und der österreichisch-ungarische Herzog Franz von Teck (1837-1900)), eine „für die Schönheitsbegriffe aller Länder reizende Mandarinin Dön=Hoff“ (Maria Beccadelli von Bologna (1848-1929), geschiedene Gräfin von Dönhoff und in zweiter Ehe Fürstin von Bülow), sowie ein „großer Staatsmandarin mit der Pfauenfeder An=Dra=Ssy“ (vermutlich Julius Graf von Andrássy (1828-1890), ab 1871 Ministerpräsident der habsburgischen Monarchie).
Das Programm sah, neben einer Symphonie von „Hay=Dn“, auch ein Quintett auf Mozarts „Cosi=Fan=Tutte“ vor und wurde von einem „Musikstück des vorzüglichen Komponisten Strauß, betitelt „Am blauen Yant=Ze=Kiang“ vollendet. Damit ist wohl der Yangzijiang (揚子江), eigentlich Changjiang, Chinas längster Fluss, gemeint, der hier den Platz des österreichischen Äquivalents in Strauss‘ Walzer „An der schönen blauen Donau“ einnimmt und exemplarisch als Symptom der eigentlich europäischen Hand, genauer die der Chinese Maritime Customs Service, gelesen werden muss, welche die „chinesische“ Teilnahme an der Wiener Weltausstellung ins Leben rief und formte.
Quellen
[1] Leopold Friedrich Freiherr von Hofmann (1822-1885) war Mitglied der Kommission für die Organisation der Wiener Weltausstellung 1873. Als „Zeichen der Erkenntlichkeit“ erhielt er – infolge eines Vortrages des „General=Zoll=Inspectors Hart“ – neben dem Freiherr Wilhelm von Schwarz-Senborn, dem Freiherr Heinrich von Calice und anderen den Drachen-Orden erster Klasse des chinesischen Kaiserreiches. Dazu: Die Presse, 22. Juni 1878, Online: ANNO. / S. 9.
[2] Johann Franz Ritter von Herbeck (1831-1877) übernahm als Nachfolger des ersten Direktors Franz Freiherr von Dingelstedt die Leitung der heutigen Wiener Staatsoper.
[3] Vorarlberger Landes-Zeitung, 01. November 1873, Online: ANNO. / S. 2.
[4]Morgen-Post, 01. November 1873, Online: ANNO. / S. 1.
[5] Ebd.
[6] Der Kolumnist unterzeichnet den Beitrag der Morgen-Post des 01. Novembers (Online: ANNO) mit dem Kürzel „J.J.K.“ und könnte daher mit dem Wiener Journalisten Julius Konried (1853-1927) identifiziert werden, der ab 1873 in der Redaktion der „Morgen-Post“ tätig war.
[7] Morgen-Post, 06. November 1873, Online: ANNO. / S. 1-2.
Veröffentlicht: 2023