Reaktionen

“Chinesisches” Theater

Daniel Riccobono

Stellt die Rekonstruktion der China gewidmeten Ausstellungsräume im dichten Gewebe der Wiener Weltausstellung eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar, so sind die damals zeitgenössischen Zeitungsberichte ein überaus hilfreiches Mittel, um sich ein Bild von den Ereignissen innerhalb dieser Räumlichkeiten machen zu können, insbesondere den Theateraufführungen, die dem Publikum der Weltausstellung mittels zweier Miniaturgruppen präsentiert wurden.

Fragt man nun den deutschen Schriftsteller und Kolumnisten Julius Rodenberg (1831-1914) nach der Herkunft des chinesischen Theaters, so antwortet dieser im Feuilleton der Internationalen Ausstellungs=Zeitung des 09. Juli 1873 knapp: „vom – Mond!“

„Meine Quellen besagen“ – so Rodenberg – „dass eines Nachts in alten Zeiten eine von den drei Seelen des Mannes, der das Schauspiel erfand, eine kleine Promenade auf den Mond unternahm und dort, wie sichs auch kaum anders schickte, dem Beherrscher des Mondpalastes seine Visite machte. Er fand den ganzen Palast voll von Mondbewohnern, die sich gerade mit einer dramatischen Aufführung ergötzten. Die Sache gefiel ihm; er nahm sich ein Beispiel daran, wie man auf dem Mond ein fashionables Schauspiel in Scene setzt, und als er zur Erde zurückgekehrt war, ward er der erste Theater-Director in China.“

Dieser „erste Theater-Director“ muss seines Amtes wohl würdig gewesen sein, hat er es doch – laut der Wiener Morgen-Post des 28. September 1873 – geschafft, die Chinesen zu den „leidenschaftlichsten Theaterfexen [1] der Welt“ [2] zu machen.

Diese Vorliebe für das Schauspiel wurde an der Wiener Weltausstellung 1873 anhand zweier kleiner Theatergruppen,, die zu diesem Zweck eigens aus China nach Wien gebracht wurden, den Besucher*innen präsentiert – „erstere im Hintergrund der Mittelgalerie, letztere bei dem zweiten Durchgange zu der Overbeck’schen Abtheilung, rechts [3].“ Gustav Ritter von Overbeck (1830-1894) war k.u.k. Generalkonsul in Hongkong und hatte zur Ausstattung eines Teiles der chinesischen Abteilung [Raum 3: ABB.1/ABB.2] Stücke aus seinem Privatbesitz bereitgestellt. Die erste Theatergruppe müsste sich daher in unmittelbarer Nähe zu den Overbeck’schen Exponaten befunden haben, die zweite am rechten der beiden Durchgänge, mittels denen man von Raum 2 zu Raum 3 gelangen konnte. Unter anderem scheint dem Wiener Publikum das Stück Die Bestrafung des Sohnes vor den Thoren des Gerichtshofes untergekommen zu sein, “[…] wenn wir es mit etwas uns Bekanntem vergleichen wollen: die goldene Vliess-Tragödie der Chinesen [4]“, dessen Handlung Rodenberg wie auch die Besucher*innen der Ausstellung einem „Manuscript-Katalog der 14 Häfen“ entnommen zu haben scheinen.

ABB.1: Raum 3, Möbel und Porzellan an der Nordwand, MAK, KI 2903-1549. Online: MAK.
ABB.2: Plan der chinesischen Räumlichkeiten in der Industriehalle.

Neben diesen Darstellungen des chinesischen Theaters in Form von in Glaskästen aufbewahrten Figurenbegegneten die internationalen Besucher*innen der Weltausstellung dem chinesischen Schauspiel auch in der figürlichen Kunst, in Form gemalter Darstellungen chinesischer Schauspieler. So befand sich unter den Exponaten der Ausstellung des Ritters von Overbeck ein bestickter Seidenschirm [5], der „[…] eine Theatervorstellung, wo eben eine burleske Satansgestalt jemanden in Furcht und Schrecken setzt […]“, dargestellt wird [6]“. Unter den vielen der Textilproduktion gewidmeten Exponaten befanden sich dazu „zwei prachtvolle Theater-Ueberwürfe […], ein ceriserother mit weisser, und ein weisser mit blauer Stickerei […][7] [8].

Sei es im Kunsthandwerk als auch anschaulich mit Figuren reproduziert wurde dem internationalen Publikum der Weltausstellung das Erlebnis des chinesischen Theaters vermittelt und bis heute dank der Schilderungen in Zeitungsberichten lebendig überführt. Die „[…] Masken, die nicht gerade lieblich zu nennen sind [9].“ sowie der „schreckliche Lärm [des] chinesischen Orchesters, in welchem die Trommel, die Pauke und das furchtbare Gong die dominierenden Instrumente sind [10].“ stellen somit gleichzeitig eine zeitgenössische Impression von damals gegenwärtigen Augenzeugen sowie in der Überlieferung heute wie damals ein lebendiges Zeugnis der Atmosphäre, die in der chinesischen Abteilung zu erleben war, dar.

Quellen

[1] Theaterfex: leidenschaftlicher Theaterbesucher; Mann, der sich für alles, was mit dem Theater, den Schauspielern usw. zusammenhängt, lebhaft interessiert.“ (Definition aus: Heinz Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Stuttgart/ München/Düsseldorf/Leipzig 1997.)

[2] Wiener Morgen-Post, 28. September 1873, Online: ANNO. / S 11.

[3] Internationale Ausstellungs=Zeitung, 09. Juli 1873, Online: ANNO. / S.1.

[4] Ebd., Online: ANNO. / S. 2.

[5] Gustav Ritter von Overbeck, Special-Catalog der chinesischen Ausstellung III. Abtheilung. Boden-, Industrie- & Kunst-Produkte, Wien 1873. / S. 19, Nr. 439-443 (nicht genauer identifiziert, „2 gestickte Seidenschirme“). 

[6] Wiener Zeitung, 03. Oktober 1873, Online: ANNO. / S. 12.

[7] Internationale Ausstellungs=Zeitung, 02. September 1873, Online: ANNO. / S. 3.

[8] Gustav Ritter von Overbeck, Special-Catalog der chinesischen Ausstellung III. Abtheilung. Boden-, Industrie- & Kunst-Produkte, Wien 1873. / S. 19, Nr. 437 und 438 („Ein Theaterüberwurf weiss und rosa“, „Ein Theaterüberwurf weiss und blau“).

[9] Internationale Ausstellungs=Zeitung, 09. Juli 1873, Online: ANNO. / S. 1.

[10] Ebd., Online: ANNO. / S. 2.

[ABB.2] Leonie Hauser/Annika Schneiderbauer, Wien.

Veröffentlicht: 2023