1851-1867: China auf den frühesten Weltausstellungen in London und Paris (3/5)
Denise Gubitosi
Die dritte Weltausstellung (International Exhibition oder Great London Exhibition) fand 1862 wiederum in London statt. Veranstaltet wurde sie in der Exhibition Road in South Kensington, wo sich seit 1854 das zwei Jahre zuvor als Museum of Manufactures (ab 1854 South Kensington Museum) gegründete und später Königin Victoria (1819-1901) und Prinz Albert (1819-1861) gewidmete Victoria and Albert Museum befindet. Als Veranstaltungsgebäude diente ein nicht erhaltener Bau, dessen Plan in ABB.7 wiedergegeben ist.
Der chinesische Bereich (im Plan mit der Ziffer 3 angegeben) befand sich im Erdgeschoss an der Central Avenue, einem Durchgang, der direkt vom Haupteingang zu den Royal Horticultural Society Gardens führte. Gegenüber von China war der japanische Ausstellungsbereich. Es sind zwei fotographische Ansichten der chinesischen Abteilung erhalten [ABB.8/ABB.9].
Darauf zu erkennen ist eine tiefe, durch Matten verkleidete Ablagefläche, auf der Keramiken verschiedener Größe, Bronzeobjekte, Papier, Stellschirme, kleines Mobiliar, Bilderrahmen, Figuren etc. abgestellt sind. An einer Pagode [ABB.8] ist eine Schnur gespannt, an der Textilien aufgehängt sind. Links wird der chinesische Bereich von einem großen Schaukasten, der ein spitzes Zeltdach mit geschwungenen Graten trägt, abgeschlossen [ABB.9]. Darin befinden sich Vasen, Geschirr, Fächer und Bilder. An dem Schaukasten ist in großen Lettern der Name „Hewett“ wiedergegeben. Dabei handelt es sich um den gleichen Händler, der bereits auf der ersten Weltausstellung in London 1851 den chinesischen Bereich bestellte.
Auf der Rückseite der Fotografie aus ABB.8 ist folgender Text handschriftlich angebracht:
„The large Enamelled Bowl shaped Vase and the 2 trumpet mouth shaped ones on the left are from the Emperor of China’s Summer Palace also the Samtan Jar on the Stand between the pair of trumpet mouthed Vases. In the centre the large Porcelain Pagoda. Ex. by Hewett” [ABB.10].
Es ist nicht gesichert, ob die Notizen authentisch sind bzw. von wem sie verfasst wurden. Fest steht aber, dass infolge der Plünderung des alten Sommerpalastes in Peking im Jahr 1860, dem Höhepunkt des zweiten Opiumkrieges (1856-1860), viele Objekte der chinesischen kaiserlichen Sammlung auf illegitimen Wegen nach Europa fanden [29].
The Illustrated London News stellt in der Ausgabe vom 1. November 1862 einige interessante Objekte der International Exhibition in Bild und Text vor [30]. Darunter befinden sich auch ein Trinkbecher aus einem menschlichen Schädel (Kapala), ein sog. „Herd“ [ABB.11] und ein Stellschirm aus der chinesischen Abteilung [ABB.12].
Der begleitende Text gibt für die ersten beiden Objekte an, sie würden aus dem Sommerpalast stammen [31], was auch im Falle der Provenienz des Stellschirms denkbar ist. W. Hewett bezeichnete seinen Bestand an chinesischen und japanischen Waren in diversen Annoncen in The Illustrated London News (etwa in den Ausgaben vom 13., 20. und 27. Dezember 1862) als „the largest […] in Europe“ [32]. Es ist gut möglich, dass über ihn chinesische Objekte, die gewaltsam aus dem Sommerpalast entwendet worden sind, in Europa vertrieben wurden.
Das zweisprachige (Englisch und Französisch) Masterpieces of Industrial Art & Sculpture at the International Exhibition 1862 (1863, 3 Bände) von J. B. Waring zeigt ausgewählte Objekte der Weltausstellung von 1862 in Bild und Text [33]. Für China und Japan sind sechs Bilder mit den Titeln „Chinese enamelled vases“, „Chinese enamel, and Japanese lacquer-work“, „Bronzes from Japan and China“, „Earthenware from China and Japan“, „Japanese lacquer-work“ und „Ornament in gold, silver, ivory, etc.“ [ABB.13-ABB.18] angeführt.
Insgesamt zeigen die Bilder knapp 40 Objekte von sehr hoher Qualität, die zum Großteil – so informieren uns die Begleittexte – aus dem Bestand von den Messrs. Remi, Schmidt & Co. stammen [34]. Andere Namen, die hinsichtlich Provenienz der Stücke fallen, sind die von Lady Michel und Sir Rutherford Alcock (1809-1897) [35]. Lady Michel war wohl mit Sir John Michel (1804-1886), der 1860 an der Zerstörung des Alten Sommerpalastes beteiligt war, liiert [36]. Sir John Rutherford Alcock wiederum war als Diplomat lange Zeit in China und Japan tätig [37]. Bereits auf der ersten Weltausstellung von 1851 war er an der Zusammenstellung der chinesischen Exponate beteiligt [38], 1862 bestellte er aber vor allem den japanischen Bereich [39]. Diese Personen veranschaulichen den Weg, über den chinesische (und japanische) Gegenstände in die frühesten Weltausstellungen nach Europa gelangten. Es waren europäische Personen mit diplomatischen oder militärischen Bezügen nach Ostasien, die das Erscheinungsbild Chinas auf diesen Schaustellungen prägten.
Der französisch-britische Erfolg im zweiten Opiumkrieg wird vom Baron L. Brisse in seinem anlässlich der dritten Weltausstellung verfassten Album de l’Exposition Universelle (1864) wie folgt beschrieben:
„England und Frankreich sind gemeinsam bis zu den äußersten Enden des Orient gegangen, um die Türen Chinas dem Welthandel zu öffnen.“ [40]
Die ausgestellten chinesischen Gegenstände werden in diesem Zusammenhang zu Aushängeschildern dieses Erfolges, zu „Schätzen“ und „Trophäen“ [41]. Die Bezeichnung vieler Objekte als „aus dem kaiserlichen Sommerpalast stammend“ zeichnet sie explizit als Beutegut aus.
Quellen
[29] Siehe dazu: Louise Tythacott, Collecting and displaying China’s “Summer Palace” in the West. The Yuanmingyuan in Britain and France, New York/London 2018.
[30] Siehe: The Illustrated London News, The International Exhibition, 1. November 1862, 469-484, Online: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015006998697.
[31] Ebd. / S. 470.
[32] Ebd. / S. 635 / 683 / 697.
[33] B. Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. I, London 1863. & B. Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. III, London 1863.
[34] B. Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. I, London 1863 / Begleittext zu Tafel 35 & B. Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. III, London 1863. / Begleittext zu Tafel 248.
[35] Ebd.
[36] James L. Hevia, The afterlives of a ruin. The YUanmingyuan in China and the West, in: Thythacott 2018, 25-37. / S. 33.
[37] Siehe dazu: Alexander Michie, The Englishman in China during the Victorian era. As illustrated in the career of Sir Rutherford Alcock, K.C.B., D.C.L., many years consul and minister in China and Japan, Edinburgh/London 1900.
[38] Ebd. / S. 102.
[39] Ebd. / S. 483.
[40] Léon Brisse, Album de l’Exposition universelle dédié à MM. Michel Chevalier et Richard Cobden par M. le Baron L. Brisse pour faire suite à l’album de l’exposition universelle de 1855, Paris 1864. / S. 11.
[41] Stacy Pierson, “True beauty of form and chaste embellishment”. Summer Palace loot and Chinese porcelain collecting in nineteenth-century Britain, in: Thythacott 2018, 72-86. / S. 74.
[ABB.11/ABB.12] The Illustrated London News, The International Exhibition, 1. November 1862, 469-484, Online: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015006998697 / S. 473.
[ABB.13] B. Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. I, London 1863. / Tafel 248 (35).
[ABB.14] Waring, Masterpieces of industrial art & sculpture at the International Exhibition 1862. Vol. III, London 1863. / Tafel 248.
[ABB.15] Ebd. / Tafel 267.
[ABB.16] Ebd. / Tafel 282.
[ABB.17] Ebd. / Tafel 288.
[ABB.18] Ebd. / Tafel 291.
Veröffentlicht: 2023