Vorgeschichten

1851-1867: China auf den frühesten Weltausstellungen in London und Paris (5/5)

Denise Gubitosi

Wie sich der chinesische Ausstellungsbereich auf der Wiener Weltausstellung von 1873 gestaltete, ist über die Artikel auf dieser Webseite nachvollziehbar. Hier sei festgehalten, dass die Organisatoren der fünften Weltausstellung in Bezug auf China vielen Tendenzen der ersten vier folgten. Zum einen in der Gruppierung Chinas mit anderen Nationen: In Wien erschien China in einer architektonischen Einheit mit Persien und Rumänien, sowie in unmittelbarer Nähe von Japan, Siam, der Türkei, Tunesien und Ägypten. Wien folgte damit den Weltausstellungen in London (1851, 1862) und Paris (1855, 1867), wo China in ähnlicher Weise zwischen bzw. mit Tunesien, Persien, Ägypten, der Türkei und Marokko auftrat. Alles, was nicht zentraleuropäisch ist, wurde an einem Ort versammelt. Ab der dritten Weltausstellung 1862 in London war China ganz eindeutig mit Japan gruppiert. Dies verdeutlichen Pläne und auch zeitgenössische Kataloge oder Zeitungsberichte (siehe: Acar, Reaktionen auf die bildende Kunst in China; Ramic, Zeitungsberichte. China im Vergleich zu Japan). Dort wurden Vergleiche zwischen beiden Ländern gezogen, wobei Japan meist besser bewertet wurde als China [53]. Es fiel den Autoren des 19. Jh. außerdem sichtlich schwer, zwischen japanischen und chinesischen Objekten zu unterscheiden, wurden diese doch oft im selben Atemzug behandelt [siehe etwa: ABB.14/16/18].

Parallelen zwischen den Weltausstellungen sind auch in den personellen Zuständigkeiten für China beobachtbar: Weder in London noch in Paris oder Wien war das Kaiserreich selbst für die Bestellung des chinesischen Ausstellungsbereiches zuständig. Im Falle der vierten Weltausstellung in Paris 1867 ist überliefert, dass zwar eine Einladung zur Teilnahme nach China entsandt, diese aber abgelehnt wurde [54].

Ob in London und Wien auch der Versuch unternommen wurde, den chinesischen Hof in die Weltausstellungen zu involvieren, geht aus dem überlieferten Quellenmaterial nicht hervor. Fest steht aber, dass die chinesische Regierung bei keiner der fünf frühesten Weltausstellungen direkt mitwirkte. Mögliche Erklärungen für dieses Desinteresse des offiziellen Chinas an der Beteiligung an den Weltausstellungen sind inner- und außerpolitischen Konflikte, sowie das chinesische Selbstverständnis. Wie im einleitenden Text „Warum Weltausstellungen?“ dargelegt, war die zentrale Idee dieser Großveranstaltungen der Wettbewerb zwischen den Nationen, der zu einer Steigerung der allgemeinen Lebensverhältnisse führen sollte. Der Qianlong-Kaiser (1711-1799, reg. 1735-1796) machte jedoch bereits 1793 deutlich, dass China an einem solchen Austausch kein Interesse hatte. Nach der misslungenen Macartney-Mission von 1793 schrieb der Qianlong-Kaiser einen Brief an George III (1738-1820), König von Großbritannien und Irland. Darin teilte er mit:

 

„Wie Ihr Botschafter [George Macartney] für sich selbst sehen kann, besitzen wir alle Sachen. Wundersame oder raffinierte Objekte haben keinen Wert für mich und ich habe keine Verwendung für die Erzeugnisse Ihres Landes.“ [55]

 

Der Qianlong-Kaiser bezog sich damit zwar auf die englischen Geschenke, die China von einer Öffnung für internationale Geschäfte überzeugen sollten, drückte gleichzeitig aber aus, dass überhaupt kein Bedürfnis für fremde Objekte bestünde – China besäße bereits „alles“. Dieses Selbstbild liefert also eine weitere Erklärung für die Nicht-Beteiligung des chinesischen Kaiserreiches an den Weltausstellungen des 19. Jh. Stattdessen bestellten europäische Personen mit ökonomischen oder diplomatischen Bezügen nach China die chinesischen Bereiche der frühesten Weltausstellungen. 1873 in Wien war Gustav Ritter von Overbeck (1830-1894, siehe: Nachescu, Gustav Ritter von Overbeck), k.u.k. Generalkonsul für Hongkong und Macao, die entscheidende Persönlichkeit. In London und Paris waren es lokale Händler chinesischer Waren oder ebenfalls Diplomaten bzw. Personen aus dem Militärdienst, die die Objekte zusammenstellten. Ganz offensichtlich zeigen die Weltausstellungen China also nicht aus chinesischer, sondern aus europäischer Perspektive.

Kataloge, Zeitungsberichte und historische Fotografien verweisen etwa auf Keramiken, Elfenbein-, Jade-, Lack-, Glas-, Emaille- und Bronzeobjekte, Architektur- und Bootsmodelle, Textilien (Kleidung, Teppiche), Möbel und Einrichtungsgegenstände (Sessel, Stellschirme, Truhen, Spiegel, Jalousien, Bilderrahmen), buddhistische und andere Figuren, Räuchermaterialien (Gefäße und Stäbchen), Musikinstrumente, Objekte aus Papier, sowie Rohmaterialien und Tee, die in den chinesischen Bereichen der Weltausstellung ausgestellt waren. Auffallend ist, dass kaum kalligraphische und malerische Werke angeführt werden. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass diese schlichtweg nicht vorhanden waren. Das ist deshalb bemerkenswert, da diese beiden Kunstformen nach chinesischem Verständnis zu den erhabensten zählen. Die Auswahl der Exponate für den chinesischen Ausstellungsbereich bringt somit einen differenzierten zeitgenössischen Geschmack zum Ausdruck. In Europa wurden jene Objekte ausgestellt, die für ein europäisches Publikum interessant waren. Zeitgenössische Berichten der frühesten vier Weltausstellungen legen nahe, dass chinesische Werke der Malerei und Kalligraphie nicht dazu gehörten. Erwähnt und besprochen wurden vor allem Objekte, die raffinierte technologische Fertigkeiten erforderten, etwa Bronzen, Keramiken und Möbelstücke. Die Wiener Weltausstellung von 1873 stellt in dieser Hinsicht gewissermaßen einen Bruch dar, da in der Overbeck’schen Abteilung einige chinesische Landschaftsmalereien ausgestellt waren (siehe: Frießnegg, Raum 2). Dass diese aber nicht durchwegs positiv gewertet wurden, beweisen zeitgenössische Zeitungsberichte (siehe: Acar, Reaktionen auf die bildende Kunst in China).

Ab der dritten Weltausstellung in London 1862 ist zu beobachten, dass den chinesischen Bereichen eine sehr spezifische architektonische Rahmung verliehen wird. In London 1862 beginnt diese Entwicklung mit dem Schaukasten mit spitzem Zeltdach [ABB.9]. Paris treibt dies 1867 mit der Gestaltung eines Außenbereiches, der mehrere Bauten umfasst, noch einige Schritte weiter. Diese Tendenz lässt sich dann auch 1873 in Wien erkennen, wo der chinesische Ausstellungsbereich mit einem großen Tor eröffnet wurde und viele Exponate in ähnlichen Schaukästen wie in London 1862 präsentiert wurden. Das Gebäude des Cercle Oriental im Außenbereich war ein weiterer Versuch, China auch in Architektur präsent werden zu lassen.

Die Weltausstellungen präsentierten China als Gesamteindruck [56], jedoch aus beschränkter europäischer Perspektive. Sie zeigen China nicht, wie es war, sondern wie Europa es wahrnahm bzw. zeigen wollte. Trotzdem passierte auf den Weltausstellungen etwas ganz Entscheidendes: dort wurde China erstmals für ein breites europäisches Publikum umfassend greifbar. Dass China bereits ab der ersten Weltausstellung 1851 in London – und dort an einer sehr zentralen Stelle des Crystal Palace, die alle Besucher:innen passieren mussten – vertreten war, zeugt von dem Interesse, das für das Land bestand. Dies gilt selbst dann, wenn die Gründe dafür primär ökonomischer oder politischer Natur waren. Eine zentrale Besonderheit der chinesischen Ausstellungsbereiche der frühesten Weltausstellungen ist die Nicht-Beteiligung Chinas. Europäische Großmächte erhofften sich nach dem ersten Opiumkrieg bzw. spätestens nach dem zweiten die Öffnung Chinas gegenüber dem Westen. Die Unzugänglichkeit Chinas faszinierte, hinderte aber auch ein tieferes Verständnis. Dies mag auch eine Erklärung dafür sein, warum die chinesische Präsenz auf den ersten Weltausstellungen bislang kaum aufgearbeitet wurde. Dieser Text ist deshalb ein Versuch, Licht in diese unklare Situation zu bringen. Hier wurde erstmals verschiedenstes Quellenmaterial zu den frühesten vier Weltausstellungen in London und Paris zusammengetragen und bearbeitet. Die umfassende Betrachtung von Plänen, Lithographien, Ausstellungskatalogen und Zeitungsartikeln vermittelt einen Eindruck dessen, wie die chinesischen Bereiche der Weltausstellungen von 1851 bis 1867 aussahen. Dies erlaubt, Vergleiche in der Präsentation Chinas, der Gruppierung mit anderen Nationen, den personellen Zuständigkeiten, den ausgestellten Objekten, der architektonischen Rahmung und der Bewertung Chinas zu ziehen. Dieser Text zeigt aber auch Grenzen auf: viele Fragen bleiben unbeantwortet, weil das erhaltene Quellenmaterial unvollständig ist. Die Wiener Weltausstellung reiht sich auch in diese Tradition ein, was die Aufarbeitung der chinesischen Präsenz auf der Weltausstellung von 1873 erschwert. Die Texte auf dieser Webseite vermitteln deshalb wichtige Erkenntnisse zu der Rolle Chinas in Wien 1873.

Quellen

[53] Siehe:Duchesne de Bellecour, La Chine et le Japon. A l’exposition universelle, in: Revue des Deux Mondes (1829-1971), 1867, seconde période/70/3, 710-742. / S. 722.

[54] Ebd. / S. 710/714.

[55] Edmund Backhouse/J. O. P. Bland, Annals & memoirs of the court of Peking. From the 16th to the 20th century, London 1914. / S. 322.

[56] Johannes Wieninger, Das Orientalische Museum in Wien. 1874-1906, in: Hornig/Borek/Feichtinger 2012, 143-158. / S. 144.

Veröffentlicht: 2023