Konstruktionsgeschichte, Planung und Ausführung (1/3)
Michael Gryksa
Dieses Traktat versucht in kurzer Form die Schnelligkeit der Entscheidungen und die revolutionäre neue Bauweise darzulegen, mit der es möglich war die Ausstellungsgebäude der Wiener Weltausstellung von 1873 in kürzester Zeit herzustellen.
Als im Jahre 1871 dem österreichischen Kaiser Franz Josef I (1830-1916) der Vorschlag unterbreitet wurde in Wien die nächste Weltausstellung zu veranstalten, goutierte er dies zunächst mit wenig Interesse. In der Vergangenheit hatten London und Paris alternierend die ersten vier Weltausstellungen abgehalten und zwar in den Jahren 1851 (London), 1855 (Paris), 1862 (London) und 1867 (Paris). Erst als man dem Kaiser mitteilte, dass London schon über die nächste Weltausstellung in den kommenden Jahren nachdachte, wollte Franz Josef I das Feld nicht seinen Konkurrenten auf der Weltbühne überlassen und stimmt einer Veranstaltung in Wien zu. Nun musste schnell ein Planer ermittelt werden. Der Entwurf eines pompösen Zentralbaus (Rotunde) wurde vom englischen Schiffbauer John Scott-Russel (1808-1882) vorgelegt. Dieser überzeugte den Generaldirektor der Weltausstellung von Wien, Baron Schwarz-Senborn (1816-1903). Da jedoch keine Kostenschätzung und keine ausreichende Planung – es wurden nur drei Skizzen und eine Baubeschreibung übergeben – vorlag, musste schnell ein Planungswettbewerb ausgeschrieben werden. Diesen gewann der Billigstbieter: der deutsche Pionier im Stahlbau, Johann Caspar Harkort (1817-1896). Da jedoch auch er die erforderlichen gesamten Detailpläne nicht binnen der Frist von 10 Tagen liefern konnte, musste das Ingenieurbüro der Weltausstellung unter Hofrat Ritter von Engerth (1818-1897) die Konstruktionen und Berechnungen durchführen lassen. Dabei zeigte sich, dass der Entwurf von Scott-Russel völlig unbrauchbar war [1]. Da die Termine der Weltausstellung in Wien für 1873 bereits festgelegt waren (Eröffnung 1. Mai 1873 und Ende 2. November 1873), wurde die Zeit knapp.
Diese Fertigkeit hat man bei der Rotunde, den West- und Ost Transepten [2] (Längsgalerien) und den rechtwinkelig anschließenden Quertrakten (Quergalerien) angewendet [ABB.1]. Ebenso bei der großen Maschinenhalle und den beiden Landwirtschaftshallen. Geplant war auch nur eine temporärere Aufstellung. Die Rotunde samt den Nebengebäuden sollte nach der Weltausstellung wieder abgebaut werden, um das Baumaterial einer Wiederverwendung zuzuführen. Nur durch den Einsatz dieser neuen Technologie konnte der Bau noch gerade rechtzeitig fertig gestellt werden. Der Stahlbetonbau oder besser Eisenbetonbau war noch jünger – erfunden 1855 – und konnte für solche großen Bauvorhaben noch nicht eingesetzt werden. Auch wäre der Abbau einer Betonkonstruktion nur schwer zu bewältigen, ganz abgesehen von einem Recycling der Materialien.
Quellen
[1] Martin Paul, Technischer Führer durch Wien, Herausgegeben vom Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein, Verlag Gerlach & Wiedling, Wien 1910. / S. 527 ff.
[2] Eduard Hallberger, Offizieller Plan der Weltausstellung Wien 1873, Verlag der General-Direktion, Stuttgart 1873.
[ABB.1] Detail aus Ebd.
Veröffentlicht: 2023